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1. Oktober 2024

IGR-Erfahrungsaustausch 2024: So wird die Prozessindustrie fit für den globalen Wandel

Neue regulatorische Anforderungen, internationaler Wettbewerbsdruck und Dekarbonisierung waren unter den bestimmenden Themen

Am 4. und 5. September richtete die Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGR) e.V. ihren Erfahrungsaustausch erstmals öffentlich aus. In der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltung fest verankert. Über 120 Teilnehmende zog es dafür ins Kultur- und Tagungszentrum Mörfelden-Walldorf. Dieses Mal nutzte die Branche die Plattform für den intensiven Austausch zu den Herausforderungen und Chancen des globalen Wandels.

„Die Prozessindustrie in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Nur durch intensive Zusammenarbeit und den Austausch von Know-how können wir wettbewerbsfähig bleiben und den globalen Technologiewandel meistern“, sagte Dr. Werner Sievers, Vorsitzender der IGR, zum Auftakt der Veranstaltung. Nicht nur ließen sich Kosten bei der Umsetzung von regulatorischen Anforderungen durch geteiltes Engagement sparen, sondern auch innovativere Prozesse und Produkte auf den Weg bringen. Deshalb wolle die IGR praxisorientierte Lösungen für die Branche fördern.

23 Fachvorträge in zwei Tagen und drei Räumen

Der Vortrag „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft und Wasserstoff – eine brisante Mischung“ betonte, dass es bei der Technologie zwar keine völlig neuen Herausforderungen gibt, aber eine anspruchsvollere Nachweisführung. Offene Punkte der TA Luft bestehen mitunter bei Flanschverbindungen und Schauglas-Armaturen. Die IGR hat bereits Musterrohrklassen mit Nennweiten-Druck-Beziehungen sowie Anzugsmomente für Schrauben erarbeitet, um grünen Wasserstoff schneller für die Anlagen zu nutzen.

Das „kleine Molekül mit großer Zukunft“ stand auch bei Folgevorträgen im Fokus. Die Prozessindustrie müsse den Technologiewandel aktiver gestalten, um grünes H2 vermehrt für Raffinerien, die Düngemittelproduktion oder als nachhaltigeren Energieträger zu verwenden. Was beim vermehrten Einsatz von Wasserstoff bedacht werden muss, ist sein Einfluss auf Werkstoffe, wie die Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften vieler Stahlkomponenten. Die Versprödung oder Spannungsrisskorrosion seien aber beherrschbar – auch dank neuer Prüfmethoden.

Synthetische Kraftstoffe als Basis für Produkte

Kostenoptimierte Strategien zur Dekarbonisierung waren ein weiterer Höhepunkt der Tagung. Betont wurde, dass Kapital stärker in Richtung Nachhaltigkeit fließe. Betreiber bräuchten jedoch einen Plan, Transparenz und Flexibilität, um Investoren zu überzeugen und so von günstigeren Krediten zu profitieren. Zur Dekarbonisierung dienen auch E-Fuels, die in der öffentlichen Debatte mitunter negativ gesehen würden. Diese seien künftig jedoch nicht nur im Klimaschutzkontext, sondern auch als Ausgangs- oder Rohstoffe für Kunststoffe, Lacke und Konsumgüter unverzichtbar. Diese Produkte basieren aktuell auf Erdöl. Dr. Werner Sievers forderte deshalb, dass die Gesellschaft offener für technologische Innovationen werden müsse. Die noch hohen Herstellungskosten von E-Fuels sollten als Investition in eine nachhaltige Zukunft gesehen werden.

Am zweiten Tag gab es Vorträge zu EMR-Technik, Prozesssicherheit, Werkstofftechnik sowie Mechanik und Verfahrenstechnik. Dabei wurde die Problematik von PFAS (Per- und Polyfluoralkylsubstanzen), der sogenannten Ewigkeitschemikalien, besprochen. Aufgrund ihrer Stabilität und Persistenz können sie sich in der Umwelt und im menschlichen Körper anreichern. Für über 14.000 Verbindungen, die unter anderem in Kältemitteln, Löschschaum oder Fluorkunststoffen vorkommen, soll es gesetzliche Beschränkungen geben. Die IGR setzt sich deshalb für herstellerneutrale Spezifikationen ein, prüft PFAS-Alternativen und betont, dass es bislang keine adäquaten Ersatzstoffe gibt. Das dürfte auch zu Herausforderungen für Wartungsintervalle und -prozesse im „Post-PFAS-Zeitalter“ führen.

„Daten-Rucksack“ für IT-/OT-Kommunikation

Ein Vortrag aus dem IGR-Kompetenzcenter EMR-Technik thematisierte, wie sich die Aussagekraft von Daten bei ihrer Reise von der Betriebsebene zur Unternehmensleitung gewährleisten lässt. Damit die Branche von neuen technischen Möglichkeiten der IT (Analysewerkzeuge, KI) profitiere, müssen neben Zahlenwerten auch möglichst viele der damit verbundenen Eigenschaften über die Systemgrenzen transportiert werden. Wichtig sei es, diese dafür mit möglichst über Systemgrenzen hinweg allgemein verständlichen zusätzlichen Kontext-Informationen zu versehen und ihnen einen „Rucksack“ mitzugeben, um ihre Bedeutung für den Unternehmenserfolg schneller und mit geringem Aufwand zu bewegen.

KI zwischen Hype und Realismus

Ein Vortrag zu den technischen Grundlagen der Künstlichen Intelligenz (KI) und zeigte sowohl Chancen als auch Grenzen auf. Thema war auch die hohe Erwartungshaltung von Investoren und Anbietern, die häufig zu einer verzerrten Wahrnehmung bei Nutzern führe. Diese Diskrepanz sorgt oft für Unsicherheit und Zurückhaltung. Die klare Differenzierung zwischen Hype und realistischen Einsatzmöglichkeiten half, KI-Technologien besser zu bewerten – ein entscheidender Faktor für erfolgreiche Pilotprojekte in der Prozessindustrie.

Günstigere Sensorik und 24/7-Monitoring

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, werden Anlagen immer häufiger an ihrer Auslastungsgrenze gefahren. Die Zustandsüberwachung von Anlagen gewinnt deshalb an Bedeutung, um Korrosion, Erosion, Materialermüdung und Umweltrisiken frühzeitig zu erkennen. Neue Technologien und günstigere Sensorik wie digitale thermische und akustische Kameras ermöglichen ein 24/7-Monitoring. Hier helfen die Schallemissionsprüfung und das Corrosion Mapping, Wanddicken von Rohren und Armaturen im Blick zu behalten, Kosten zu sparen und die Verfügbarkeit der Systeme zu erhöhen.

Schließlich schlugen die Redner einen Bogen zurück zur Nachhaltigkeit und zum öffentlichen Diskurs: Maßnahmen für mehr Prozesssicherheit bringen oft auch Energieeinsparungen. Dabei gelte es, das Bewusstsein der Öffentlichkeit und Politik dafür zu schärfen, dass die Anlagen in der EU oft umweltschonender arbeiten als im internationalen Vergleich. Eine transparente Verifizierung und Darstellung, beispielsweise des CO2-Footprints pro Tonne Produkt, sind ein Schlüssel zu grünen Sonderkreditprogrammen. Die Berichtspflichten und Sustainable Development Goals (SDGs) zu erfüllen seien mittlerweile kein Selbstzweck mehr, sondern essenziell für das Fortbestehen von Unternehmen.

Genormte Wettbewerbsvorteile

Ein Gastvortrag des DIN zeigte, wie Unternehmen Normung und Standardisierung nutzen, um ihre Zukunft zu sichern. Normen sind freiwillige Regeln, die von Interessengruppen erarbeitet werden und eine wichtige Rolle bei der Vergleichbarkeit, dem Wissenstransfer und der Genehmigungsgrundlage spielen. Die IGR vermittelt zwischen der Branche und dem Gesetzgeber. Unternehmen, die in Normungsgremien mitwirken, gestalten nicht nur den technologischen Wandel aktiv mit, sondern erlangen oft auch einen Wettbewerbsvorteil durch den damit verbundenen Informationsvorsprung.

Dr. Sievers schloss die Tagung mit einem Dank an die Teilnehmenden und das Organisationsteam und betonte die Rolle der IGR als Treiber von Innovation und Fortschritt. Besonders hervorzuheben sei das Engagement der Expertinnen und Experten, die mit Leidenschaft dazu beitragen, dass die Branche nachhaltig werde und wettbewerbsfähig bleibe. Der nächste Erfahrungsaustausch ist in zwei Jahren geplant – und wieder öffentlich. Denn schon diesmal stammten über zehn Prozent der Teilnehmenden aus Nicht-Mitgliedsunternehmen. Ein Beleg dafür, dass die IGR auch über Vereinsgrenzen und den Industriepark Höchst hinaus unterschiedliche Akteure fachübergreifend an einen Tisch bringt.

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Dr. Werner Sievers
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